Seit gestern bin ich Texterin. In Hamburg. Bei einer großen Agentur. Der Kunde: ein Automobilhersteller. Meine Aufgabe: texten und die Migration der Onlineseite konzipieren. Vermutlich. Man weiß es nicht genau.
Ich habe zusammen mit A. angefangen, die die Steuerung übernehmen soll ohne momentan genau zu wissen, was zu tun ist. Von gestern Morgen um 10.30 bis heute Abend um 18.30 waren wir fast ununterbrochen in Meetings: Briefingmeeting, Designmeeting, Textmeeting, Scrummeeting, Statusmeeting, Ressourcenplanung.
Ich habe gefühlte 100 Menschen kennen gelernt und kann mich gerade an die Namen der Texter/innen im Bismarck-Zimmer erinnern: B., der Textcoach ist, freundlich, aber völlig desineressiert an uns, C.: klein, freundlich, D., die freundliche Ghanaerin, die für die englischen Übersetzungen zuständig ist, E., der gemütliche dicke Redakteur. Auch er ist natürlich freundlich. Dann gibt es noch den anderen B., den Account Director, der Physik studiert hat, Vater von zwei Söhnen ist und mit seinem besten Freund alle Apple-Geräte hat, die es je gab. Ein gebürtiger Hamburger und – natürlich freundlich.
F. aus Frankfurt, der einen ausgeprägten Hang zum Misanthropischen hat und alles eher negativ darstellt, aber total soft, du – Frauenverstehweichei der frühen 80er-Jahre. Mann, wie cool sind wir, dass wir alles so scheiße finden.
G., der ruppige Officedirector (ob der zweite Teil der Bezeichnung stimmt, bin ich mir nicht sicher). H., der Client Director, hat ein Einzelbüro, und zwinkert mir wie etwa 60 Prozent der Männer zu, wenn wir uns begegnen. Ich nehme es nicht persönlich. Ich glaube, die Hamburger machen das so, oder die Agenturmänner, oder die männlichen Mittdreißiger einer Hamburger Agentur. Ich sorge dafür (mit A.s Unterstützung) den Altersdurchschnitt extrem zu steigern. Ich glaube, das ist der Grund, warum mich viele von ihnen zuerst ansprechen, wenn es um Aufgaben geht (ich wirke älter als sie. *heul*.) Dabei ist sie doch die Chefin, kriegt ein Fünftel mehr Tagessatz, will bei mir 10 Prozent Vermittlungsgebühr abkassieren, kriegt eine Freifahrt pro Woche. Und ich nicht. *maul*. Anyway.
Ach ja, und dann gibt es noch G., den kleinen verheirateten Konzepter mit Glatze, der eine tolle Stimme hat. H., der nette Designer, der uns heute seine wunderbare (sicherlich gefakt, aber schön) persönliche BMW-Liebesgeschichte erzählt hat. I., die pummelige, blonde Projektleiterin, Schnellrednerin mit braunen Augen, einer interessanten Nase und unglaublich klar geschnittenen und geschwungenen Lippen. J., der dünne Textchef (noch einer?), kurze graue Haare, hat etwas leicht Permanent-Beleidigtes. Ist genauso ein Satzzeichen-Freak wie A. und ich. Und K. Der das Gruseln bekommt bei falscher Rechtschreibung und BinnenVersalien. Und anfangs nicht begeistert zu sein schien, dass wir auftauchen. Am Ende seiner gut einstündigen Präsentation des Klickdummies (den wir inzwischen drei Mal gesehen haben) schienen die Ressentiments gewichen zu sein. Von ihm kommt die Headline „More Lore, less Ipsum“. Er scheint die 40 auch schon weit überschritten zu haben, sieht zumindest so aus – aber das liegt vielleicht auch am Rauchen.
Den Namen des einen Admins – oder war es wer anders, von dem wir gegen 50 Euro Kaution unsere Eintrittskarte bekommen haben , hab ich vergessen. L. ist freundlich (was sonst), zwinkert mir jedes Mal zu (siehe oben) und ist sehr hilfsbereit und redet – dabei ist er doch Admin.
Bisher schieben wir eher die Einzelkämpfernummer – und möglicherweise läuft das auch ein bisschen zwischen uns ab. A. ist ja als „Chefin“ gebucht, ich bin nur die kleine Texterin. Da müssen die Rollen ja mal klar gemacht werden – da kann sie mich nicht überall mithinnehmen (wollen).
Fazit der zwei Tage: zehn Seiten Handgeschriebenes bei den unendlichen Meetings, Lotus hassen gelernt, zwei Word-Dokumente geöffnet, eins geschrieben – und viel verdient. Ab Montag soll ich bis Ende September von montags bis freitags dort arbeiten und in HH sein.
Bin hin- und hergerissen: Hamburg ist toll, gestern war ich zwei Stunden spazieren (aua, meine Füße), aber das Hotel war grottig, ein Hotelzimmer kann auf Dauer nicht mein Zuhause sein, und meine Männer …*seufz*, sie fehlen mir, auch wenn ich die Alleinzeit sehr gut haben kann. Drei Monate, vielleicht sogar vier sind verdammt lang.
Und mein Schreibkurs, mein Yoga, meine Freundinnen, der Wissenschaftsladen – fällt alles erstmal flach. Sommer in Hamburg – klappt das bei einer Arbeitszeit von 9 bis 18 Uhr?
Aber: Hamburg, da wollte ich doch immer schon mal hin.