Es lässt mir ja keine Ruhe. Diese blöde Unterlassungserklärung, und dass irgendeine dubiose Firma aus den USA, die noch nicht einmal eine Website hat, mich mit irgendeinem Scheiß beschuldigen kann. Der Anwalt meldet sich erwartungsgemäß auch nicht mehr. Abwarten allein bringt es auch nicht. Bei den vielen Recherchen (nein, ich glaube nicht alles) taucht immer wieder der Rat auf, bei der Polizei Anzeige zu erstatten.

Montagnachmittag, drei Wochen nach der Unterlassungserklärung. Es ist kalt, dunkel, von Frühling trotz Mitte März keine Spur. Der richtige Moment, bei der Polizei mein Anliegen vorzutragen.

„Ja?“ schnarrt es aus der Gegensprechanlage. „Ist mein Hund bei Ihnen?“ fragt der Türke der vor mir in der klirrenden Kälte steht. Im Hintergrund, zwei Glastüren weiter, sieht man vier Polizisten, die wichtigen Aufgaben nachgehen. „Wat denn für eener?“ fragt jemand zurück, bevor der Türöffner summt. Ich bleibe meinem Vorgänger dicht auf den Fersen.

Während sich Ahmad E.* gegenüber zwei Polizisten ausweisen und kritisieren lassen muss, dass er nur seinen Führerschein, nicht aber Personalausweis oder Meldebestätigung dabei hat, lasse ich die Atmosphäre auf mich wirken. Statt lockerer TV-Atmosphäre wirken die abgeranzten graugrüngelben Wände wie das Arbeitsamt an der Sonnenallee, als es noch Arbeitsamt hieß. Alle Türen sind verschlossen, und die Kommunikation, wenn sie denn stattfindet, passiert hinter dickem Glas und mit Mikrofon. Was ist hier passiert, dass die Polizisten sich so abschotten?

Es scheint ihnen aber nicht zu missfallen: Geschäftig laufen die Uniformierten hinter der Glasscheibe auf und ab, kommen auch mal nach vorne, gehen an uns vorbei, um gleich hinter der nächsten Milchglastür zu verschwinden. Mal mit kaffetasse, mal ohne, aber immer durch uns hindurch guckend.

Die Polizei, dein Freund und Helfer

„Nächste!“ Der John Kerry-Verschnitt in der blauen Uniform meint mich. „Ich soll angeblich einen Pornofilm über eine illegale Internetbörse getauscht …“ „Momentchen! Da muss ich erstmal gucken, welcher Kollege dafür zuständig ist.“ Hauptsache, ich bin es nicht, sagt sein Gesichtsausdruck. „Äh, wie lange dauert denn so ein Moment?“ frage ich prä-genervt.

„Det weeß ick nicht. Ick muss erst gucken, wer dafür zuständig ist, dann muss ich gucken, ob der da ist, und wenn nicht, wer das dann machen kann.“ Und schon ist er weg.

Der Hundemann kann seinen Vierbeiner endlich in Empfang nehmen, der sich allerdings lange nicht so freudig verhält wie sein Herrchen. Von draußen kommt der durchgeforene KOB herein und mault den erstbesten Wartenden an, ob das sein Auto auf dem (Polizei)Parkplatz sei, das könne da nicht stehen bleiben, wenn das jeder machen würde.

Und wieder geht eine Tür auf. Ein junger Polizeikommissar kommt direkt auf mich zu. Ob ihn geschickt haben, weil er sich aufgrund seines Alters bestimmt mit dem Interdingens auskennt? Man weiß es nicht.

Gemeinsam marschieren wir durch diverse Türen und Gänge in ein kleines Kabuff, das auch als Zelle dienen könnte. Ein winziges Fenster oben links unter der Decke, natürlich vergittert. Ein Waschbecken, abgeschabte Wände. Schreibtisch mit Computer. Ein Spind. die obligatorische Neonröhre an der Decke. Drei Stühle. Zwei für die Delinquenten, sorry, die Besucher, einen für den Herrn Kommissar.

Noch einmal erzähle ich meine Geschichte, Marvin Henrik Heggentropp*  schreibt sorgfältig mit. Mit einem Stift. Auf Papier. In einer bezaubernden Jungmännerschrift, wie ich gerade noch ohne Brille erkennen kann. Akribisch fragt er nach Router (unsichtbar), Wlan (doppelt gesichert), weiteren Personen, Anwalt und Gegenanwalt.

„Vielen Dank, das ist ja schon mal sehr ausführlich“ (jaha, reden kann ich), „ich muss dann mal eben eine Vorgangsnummer holen, bin aber gleich wieder da.“ Ich will gar nicht wissen, wie lange gleich dauert, zu fasziniert bin ich vom Interieur dieser Butze. Am Spind der obligatorische Hinweis, wer im Fall eines Falls für die Rettung verantwortlich ist. Betriebssanitäterin Ute* Gülle. Die Arme.

Vertrauen ist gut

Doch da kehrt schon mein Held zurück, auf dem Stück Papier, das er mitbringt, hat er säuberlich die Vorgangsnummer notiert. Ob sie wohl was für Twitter ist? Gefühlt hat sie knapp 40 Zeichen.

„So, wenn Sie mir dann noch die besprochenen Unterlagen mailen würden. Hier ist auch meine Mailadresse“ (natürlich handgeschrieben), ich heiße eigentlich nur Marvin, aber die Behörde nimmt immer alle Vornamen, und meine Eltern haben mir zwei gegeben.“ ???

„Muss ich nichts mehr unterschreiben?“ „Nein, nein, ich tippe das jetzt ab und rufe dann bei der Kripo an, die werden schon wissen, was sie damit machen müssen.“ Ah ja.

Von zu Hause maile ich ihm die versprochenen Unterlagen und bekomme fast genauso schnell als Antwort: „Ich habe ihre Dokumente erhalten und werde sie der Akte beilegen. Nach Rücksprache mit der Kriminalpolizei werde ich eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz fertigen und Sie als Zeugin aufführen. Der Sachbearbeiter der weiterbearbeitenden Dienststelle des Landeskriminalamtes wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“

Kunsturhebergesetz? Jemand hat sich verbotenerweise in meinen Router gehackt und in meinem Namen Straftaten begangen. Ist das nicht etwas anderes? Doch auf diese Frage antwortet mein Kommissar nicht mehr.