„Hallo, hallo. Kommen Sie schnell runter. Da macht jemand an einem Kalckhoff-Fahrrad rum.“ Scheppernd tönt aus der Gegensprechanlage. Die ältere Nachbarin, auf dem Weg zur Arbeit, hat alle Klingeln gedrückt, weil ein junger Mann, den sie nicht kennt, sich zwischen unseren Fahrrädern herumdrückt und ihr eine wirre Geschichte von Pumpe kaufen und deshalb wissen müssen, wie groß ein Reifen  ist, erzählt.

Das Kalckhoff-Fahrrad ist meins, ich renne runter. Der Schnellspanner ist schon gelöst, die Bremsen sind halb abgebaut. Von dem Typen ist nichts mehr zu sehen. Drei Minuten später, ohne die aufmerksame Nachbarin, hätte ich wahrscheinlich nur noch das Vorderrad mein Eigen nennen können.

Lieblingssohn und ich schleppen das Rad nach oben, beide noch ganz cool. Vom Balkon sehe ich, dass ein Typ in einem roten Hoody mit einem Fahrradreifen in der Hand unsere Straße langschlingert. Zugedröhnt, aber zielstrebig auf unsere Fahrradständer zusteuert, stehen bleibt, sich umguckt, anscheinend mein Rad vermisst.

Sohn hat mir inzwischen das Telefon gereicht, sucht die Kamera, ich rufe bei der Polizei an. „Bei uns vor der Tür hat ein junger Mann versucht, mein Fahrrad zu klauen.“ „Gute Frau, wo ist denn bei uns vor der Tür?“ Hat sich was mit Coolness. Ich erkläre aufgeregter als ich sein will, was passiert ist, beschreibe den Mann und dass er gerade mit (s)einem Vorderrad auf dem Pizzaparkplatz nebenan verschwindet, von dem aus man gut in unseren Hinterhof kommt.

Er habe seine Kollegen informiert, meint der Polizist am Telefon, sie seien auf dem Weg. Und Tatsache, fünf Minuten später sind sie da. Genau in dem Moment, als der Hoodyman vom Parkplatz zurückkommt. Nochmal gehe ich runter, mit wehendem Haar und in Puschen (immerhin hatte ich schon gemütlich auf der Couch gelegen und schlechte Filme geguckt, als es klingelte), werfe nur kurz einen Blick auf den potenziellen Dieb.

Von Souveränität bei mir keine Spur mehr. Ich bekomme Angst, meine Gedanken galoppieren, ich gucke weg, will nicht, dass er mich erkennt. „Sie haben angerufen?“ Die Polizistin will meinen Namen aufschreiben, ich sage ihn ihr erst leise, als wir hinter dem Polizeiauto stehen. Bin ich überspannt?

Ihr Kollege debattiert mit dem Mann, ich husche vorbei, schließe die Haustür fest, verriegele die Wohnungstür, stelle mich mit Sohn ans Fenster und versuche etwas von der Diskussion zwischen den beiden unten auf der Straße mitzubekommen.

Irgendwann verfrachten die Polizisten den vermutlichen Dieb in ihr Auto, nehmen ihn mit. Erleichterung, auch wenn mein Herz Kapriolen schlägt.

Zwei Stunden später. „DU SCHLAMPE!“ und ein paar unverständliche Sachen mehr brüllt es vor dem Haus. Ich weiß nicht, ob es der ist, der versucht hat, mein Fahrrad zu klauen und der jetzt wahrscheinlich wieder auf freiem Fuß ist. Ein paar Meter weiter scheppert es, als schlüge jemand vor ein Auto. Schleiche mich in der Dunkelheit auf den Balkon, sehe nichts.

Ich glaube nicht wirklich, dass er mich erkannt hat, aber es fühlt sich nicht gut an, dass er weiß, wo ich wohne. Und die Nachbarin, die ihn gesehen hat, würde er sicher wiedererkennen.

Bis vorhin habe ich mich gut gefühlt in unserer Straße. Jetzt habe ich Angst.