Noch mal tief durchatmen. Wie bin ich bloß auf diese blöde Idee gekommen, diese Rede zu halten? Was sind das alles für Menschen hier? Ich lege meinen Mantel auf der Bank ab. Wo sind meine Zettel? Wo meine Brille? Wer flüstert da? Scheiße, bin ich aufgeregt. Wenn ich jetzt meine Lesebrille vergesse, bin ich aufgeschmissen. Warum eigentlich werden meine Augen immer schlechter.
Oh oh, da läuft schon der Kassettenrekorder. „Petite Fleur“, das war doch eher Mutters Lieblingslied, oder? Aber hat sie nicht immer gesagt, es sei das Lied, bei dem sie sich damals ineinander verliebt haben?
So, da sind sie. Brille. Zettel. Also ab zum Redepult. Wie gut, dass ich vorher mit dem Mann vereinbart habe, dass er übernimmt, falls ich umkippe oder meine Sprache verliere. Wie kalt es hier ist in der Kapelle. Ich tue einfach so, als ob ich einen Vortrag halte und gar nicht beteiligt bin. Oh, das Lied hat aufgehört. Die Leute sehen aus, als hielten sie den Atem an. Hallo? Ich bin es doch bloß. Habt keine Angst, ich werde nichts Schlimmes erzählen.
Ich räuspere mich, ein Mal, zwei Mal, schlucke und beginne mit leicht brüchiger Stimme: „Liebe Familie, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Bekannte. Vielen Dank, dass ihr zur Trauerfeier für unseren Vater gekommen seid.“ Ich schaue zu meiner Schwester, die mit ihrem Sohn direkt neben unseren Kindern sitzt. Sie lächelt mir mit Tränen in den Augen zu.
Jetzt hab ich mich gefasst, erzähle von der Kindheit unseres Vaters, seiner Jugend, wie er unsere Mutter kennengelernt hat. Streife in kurzen Bildern durch sein Leben, auch durch die dunkleren Zeiten.
Es zahlt es sich aus, dass ich in meinem Job gelernt habe vor Publikum zu reden, langsam zu reden, mit Pausen und Augenkontakt. Ich erzähle vom Vater als Grafiker und Art Direktor, von ihm als Frauenversteher und Frauenverächter, von ihm als Vater und Großvater.
Von Wort zu Wort fühle ich mich sicherer, kann sogar zur Urne links schauen, wenn ich über den Toten spreche. Wir haben alles selbst organisiert, meine Schwester und ich: von der Urnenfarbe (rot) über das Blumengesteck (viele Rottöne) und den Tisch mit der Decke (rot), auf der sein Porträt mit dem schwarzen Band steht.
Ja, so soll er ihnen allen in Erinnerung bleiben: mit schelmischen Blick, schlohweißen Haaren und dem blauen Hemd, das ihm immer so gut stand. Hier muss niemand wissen, wie erbärmlich er in seinen letzten Lebenstagen aussah, wie sehr er gelitten hat im Krankenhaus, im Pflegeheim. Während ich rede, blitzen die Bilder von unserem letzten Besuch bei ihm auf: Er hat uns nicht mehr erkannt, er hat fantasiert, seine Haut pergamentdünn, sein Griff kraftlos, seine seltenen wachen Momente voller Angst, Zuneigung und wilder Fantasiegeschichten. Ich blinzle die Tränen weg, während ich weiter rede.
Wie viele Leute mögen hier sein? 20? 30? Ich kann nicht gleichzeitig reden und zählen. Und schätzen schon gar nicht. Ist auch egal. Sie sind zu seinen Ehren gekommen und zu unserem Trost. Das ist genug.
Es ist vorbei, ich atme auf und durch. Noch einmal setzt Musik ein. Und dieses Mal ist es definitiv sein Lieblingslied: italienischer Jazz von Paolo Conte.
Noch mal tief durchatmen. Wie bin ich bloß auf diese blöde Idee gekommen, diese Rede zu halten? Was sind das alles für Menschen hier? Ich lege meinen Mantel auf der Bank ab. Wo sind meine Zettel? Wo meine Brille? Wer flüstert da? Scheiße, bin ich aufgeregt. Wenn ich jetzt meine Lesebrille vergesse, bin ich aufgeschmissen. Warum eigentlich werden meine Augen immer schlechter.
Oh oh, da läuft schon der Kassettenrekorder. „Petite Fleur“, das war doch eher Mutters Lieblingslied, oder? Aber hat sie nicht immer gesagt, es sei das Lied, bei dem sie sich damals ineinander verliebt haben?
So, da sind sie. Brille. Zettel. Also ab zum Redepult. Wie gut, dass ich vorher mit dem Mann vereinbart habe, dass er übernimmt, falls ich umkippe oder meine Sprache verliere. Wie kalt es hier ist in der Kapelle. Ich tue einfach so, als ob ich einen Vortrag halte und gar nicht beteiligt bin. Oh, das Lied hat aufgehört. Die Leute sehen aus, als hielten sie den Atem an. Hallo? Ich bin es doch bloß. Habt keine Angst, ich werde nichts Schlimmes erzählen.
Ich räuspere mich, ein Mal, zwei Mal, schlucke und beginne mit leicht brüchiger Stimme: „Liebe Familie, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Bekannte. Vielen Dank, dass ihr zur Trauerfeier für unseren Vater gekommen seid.“ Ich schaue zu meiner Schwester, die mit ihrem Sohn direkt neben unseren Kindern sitzt. Sie lächelt mir mit Tränen in den Augen zu.
Jetzt hab ich mich gefasst, erzähle von der Kindheit unseres Vaters, seiner Jugend, wie er unsere Mutter kennengelernt hat. Streife in kurzen Bildern durch sein Leben, auch durch die dunkleren Zeiten.
Es zahlt es sich aus, dass ich in meinem Job gelernt habe vor Publikum zu reden, langsam zu reden, mit Pausen und Augenkontakt. Ich erzähle vom Vater als Grafiker und Art Direktor, von ihm als Frauenversteher und Frauenverächter, von ihm als Vater und Großvater.
Von Wort zu Wort fühle ich mich sicherer, kann sogar zur Urne links schauen, wenn ich über den Toten spreche. Wir haben alles selbst organisiert, meine Schwester und ich: von der Urnenfarbe (rot) über das Blumengesteck (viele Rottöne) und den Tisch mit der Decke (rot), auf der sein Porträt mit dem schwarzen Band steht.
Ja, so soll er ihnen allen in Erinnerung bleiben: mit schelmischen Blick, schlohweißen Haaren und dem blauen Hemd, das ihm immer so gut stand. Hier muss niemand wissen, wie erbärmlich er in seinen letzten Lebenstagen aussah, wie sehr er gelitten hat im Krankenhaus, im Pflegeheim. Während ich rede, blitzen die Bilder von unserem letzten Besuch bei ihm auf: Er hat uns nicht mehr erkannt, er hat fantasiert, seine Haut pergamentdünn, sein Griff kraftlos, seine seltenen wachen Momente voller Angst, Zuneigung und wilder Fantasiegeschichten. Ich blinzle die Tränen weg, während ich weiter rede.
Wie viele Leute mögen hier sein? 20? 30? Ich kann nicht gleichzeitig reden und zählen. Und schätzen schon gar nicht. Ist auch egal. Sie sind zu seinen Ehren gekommen und zu unserem Trost. Das ist genug.
Es ist vorbei, ich atme auf und durch. Noch einmal setzt Musik ein. Und dieses Mal ist es definitiv sein Lieblingslied: italienischer Jazz von Paolo Conte.